Zwischen Vorschriften und Verantwortung: So sieht Material Compliance in der Praxis aus

Ivanka Volpp-ZitatMaterial Compliance ist ein zunehmend wichtiger Bereich für Unternehmen, die weltweit agieren und gesetzliche sowie kundenspezifische Anforderungen an ihre Produkte erfüllen müssen. Material Compliance-Beauftragte sorgen dafür, dass eingesetzte Materialien den komplexen regulatorischen Vorgaben entsprechen – eine Aufgabe, die technisches Verständnis, rechtliches Know-how und viel Koordinationsgeschick erfordert.

Ivanka Volpp, Compliance Officer Würth Elektronik Group, gibt uns einen Einblick in diesen Job. Wir haben mit ihr unter anderem darüber gesprochen, wie sie zu ihrem Beruf gekommen ist, welche Aufgaben sie als Material Compliance-Beauftragte übernimmt und was sie an ihrer Arbeit besonders fasziniert.

Ivanka Volpp
Ivanka Volpp, Compliance Officer Würth Elektronik Group

Wie sind Sie zu Ihrem Beruf im Bereich Material Compliance gekommen und welchen beruflichen Hintergrund – naturwissenschaftlich oder juristisch – bringen Sie mit?

Bei mir war das weniger ein bewusstes Anstreben, sondern vielmehr eine konsequente Entwicklung. Ich habe ursprünglich im Bereich Trade Compliance angefangen, also als Verantwortliche für Zoll- und Exportkontrolle. Im Laufe der Jahre habe ich dann weitere Aufgaben im Bereich Corporate Compliance übernommen. Da diese Bereiche eng mit dem Risikomanagement verknüpft sind, war es eine logische Konsequenz, auch das Thema Product und Material Compliance mit aufzunehmen.

Ich bin Fachkauffrau für Außenwirtschaft und komme aus dem mittleren Management. Über Weiterbildungen habe ich mich mit Qualitätsmanagement und internen Audits vertraut gemacht. Durch die Deklarationspflichten im Außenwirtschaftsbereich kam ich zwangsläufig mit dem Thema Product und Material Compliance in Berührung. Ursprünglich komme ich aus der Kommunikationsbranche und bin auch Dolmetscherin – die Mehrsprachigkeit war dabei ein großer Vorteil, besonders beim Umgang mit juristischen Texten.

Welche konkreten Aufgaben übernimmt eine Material-Compliance-Beauftragte heutzutage? Arbeiten Sie dabei eher allein oder im Team, und sind Sie auch international tätig?

In den meisten Unternehmen ist Material Compliance keine Vollzeitstelle. Gerade im Mittelstand ist es wichtig, schlanke Prozesse zu gestalten. Unsere Aufgabe ist es, auf jeder Gesellschaftsebene einen vorausschauenden Prozess zur Stammdatenpflege und Merkmalslenkung aufzubauen. Das beginnt mit der proaktiven Beobachtung von Gesetzesänderungen, deren Analyse und der Integration in das Managementsystem. Von Organisationsanweisungen über Schulungen bis hin zu konkreten Arbeitsanweisungen. Dabei arbeite ich eng mit den Bereichen Qualität, Umwelt und Nachhaltigkeit zusammen.

In der Würth-Gruppe wurde die Governance-Funktion „Material Compliance“ eingeführt und auf die verschiedenen Divisionen verteilt. Ich bin in der Assistenz der Geschäftsbereichsleitung tätig und betreue mehrere Einzelgesellschaften. Vor Ort arbeiten dann die jeweiligen Verantwortlichen für Product und Material Compliance.

Ja, das ist das Spannende an der Aufgabe. Wir arbeiten über Ländergrenzen hinweg – in Europa, Asien und Amerika. Dabei geht es nicht nur um geografische Unterschiede, sondern auch um unterschiedliche regulatorische Anforderungen.

Was begeistert Sie an Ihrem Beruf im Bereich Material Compliance, und mit welchen Herausforderungen sind Sie in Ihrem Arbeitsalltag konfrontiert?

Ich sehe im Bereich Material Compliance ein großes Innovationspotenzial. Es geht nicht nur um Einschränkungen, sondern auch darum, Produkte zukunftsfähig, umweltfreundlich und wirtschaftlich weiterzuentwickeln. Der Bereich hat durch das gestiegene Nachhaltigkeitsbewusstsein enorm an Dynamik gewonnen. Besonders spannend ist der Austausch mit anderen Branchen – von Elektronik über Chemie bis hin zur Lebensmittelindustrie.

Die größte Herausforderung ist die Vielzahl an unterschiedlichen regulatorischen Anforderungen – sowohl innerhalb der EU als auch international, etwa in den USA oder Kanada. Die Auslegung von Gesetzestexten ist oft interpretationsbedürftig. Es geht darum, den richtigen Weg zwischen Konformität und Overcompliance zu finden. Besonders aufwendig ist die Pflege der Dokumentation und Deklarationen, die für verschiedene Märkte erforderlich sind.

Gibt es eine Vision oder einen Wunsch, wie sich die Prozesse verbessern ließen?

Mein Wunsch wäre eine zentrale Datenquelle – eine „Single Source of Truth“ – aus der alle relevanten Systeme gespeist werden. Wir sind auf dem Weg dorthin. Innerhalb der Würth-Gruppe haben wir eine sehr kompetente IT-Division, die uns dabei unterstützt. Aber es ist ein langfristiger Prozess, der sowohl technologische als auch personelle Ressourcen erfordert.

Welche Kompetenzen sind für den Beruf besonders wichtig und wie hat sich das Berufsfeld in den letzten Jahren verändert?

Eine strukturierte Arbeitsweise und analytisches Denken sind essenziell, um aus der Vielzahl an Regularien das Relevante herauszufiltern. Ebenso wichtig ist Kommunikationsfähigkeit – man muss die Mitarbeitenden in den Prozessen mitnehmen und ein Bewusstsein für die Bedeutung von Compliance schaffen.

Ich arbeite seit über 20 Jahren mit Deklarationspflichten. Das Berufsfeld „Material Compliance“ als solches gibt es in dieser Form noch gar nicht so lange. Es ist eher ein Verantwortungsbereich, der zunehmend komplexer wird. Die Zahl der Schnittstellen im Unternehmen hat stark zugenommen – heute gibt es zusätzlich Nachhaltigkeits-, Arbeitssicherheits- und Innovationsbeauftragte. Die Kommunikation ist dadurch deutlich intensiver geworden.

Wie organisieren Sie den Austausch innerhalb Ihres Unternehmens? Können Sie ein Beispiel für eine besonders schwierige Situation nennen?

Wir nutzen digitale Tools wie Microsoft Teams sehr intensiv. Darüber organisieren wir den Austausch, beantworten Fragen und teilen Wissen. Zusätzlich gibt es ein umfangreiches internes Schulungsangebot – von E-Learnings bis zu Webinaren – das auch unseren Geschäftspartnern zur Verfügung steht.

Aktuell haben wir eine Herausforderung mit einem chemischen After-Sales-Produkt für den US- und kanadischen Markt. Die Schwierigkeit liegt darin, die unterschiedlichen regulatorischen Anforderungen – etwa Proposition 65 in den USA und SVHC in der EU – korrekt zu interpretieren und umzusetzen. Hinzu kommen sprachliche Anforderungen und die Notwendigkeit, die Dokumentation verständlich und regelkonform aufzubereiten. Das ist sehr zeitaufwendig und erfordert viel Detailarbeit.

Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung im Bereich Material Compliance?

Ich glaube, die Komplexität wird weiter zunehmen. Material Compliance ist ein klarer Wettbewerbsvorteil. Wer hier nicht sauber arbeitet, riskiert Reputationsschäden und Marktverluste. Gleichzeitig steigt die Sichtbarkeit und Wertschätzung dieser Funktion im Unternehmen – auch, weil sie zur Risikominimierung auf Managementebene beiträgt.

Haben Sie Tipps für Menschen, die in diesen Bereich einsteigen möchten?

Man sollte den Fokus nicht verlieren, die Interessen klar differenzieren und Durchhaltevermögen mitbringen. Wer sich nicht für das Lesen, Analysieren und Schreiben begeistern kann, wird in diesem Beruf nicht glücklich. Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe mit wachsender Verantwortung und interessanten Entwicklungsmöglichkeiten.


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Was genau macht eine Person, die für Material Compliance zuständig ist und wie sieht der Weg in dieses Berufsfeld aus?

Maike Paehler-Zitat

In unserem Interview mit Maike Paehler erfahren wir, wie vielseitig und anspruchsvoll dieser Beruf ist. Sie teilt Einblicke in ihre tägliche Arbeit, von der Einhaltung gesetzlicher Anforderungen bis hin zur Entwicklung nachhaltiger Produkte. Erfahren Sie, welche Herausforderungen sie dabei meistert und wie sie mit ihrem Engagement zum Umwelt- und Gesundheitsschutz beiträgt. Ein spannendes Gespräch über ein zukunftsweisendes Berufsfeld!

 

Maike Paehler
Maike Paehler, Compliance Managerin bei KROHNE Messtechnik GmbH

Frau Paehler, wie sind Sie zu einer Karriere im Bereich Material Compliance gekommen, und was motiviert Sie in diesem Berufsfeld?

Ich habe nach dem Chemiestudium angefangen als Entwicklerin für elektrochemische Sensoren zu arbeiten. In dem Arbeitsbereich hatte ich erste Berührungspunkte mit dem Thema Material Compliance, da dieses bei der Produktentwicklung berücksichtigt werden muss. Das hat damals schon mein Interesse geweckt. Dann habe ich intern bei KROHNE das Angebot bekommen in diesem Bereich zu arbeiten, was ich gerne angenommen habe. Aus meiner Sicht wird dieses Thema auch zukünftig wichtig sein, da das Bewusstsein für umwelt- und gesundheitsschädliche Stoffe steigt. Es ist ein wichtiger Teilaspekt beim Eco Design, dem Entwickeln nachhaltiger Produkte.

Was sind Ihre Hauptaufgaben im Bereich Material Compliance, und mit welchen Abteilungen und Stakeholdern arbeiten Sie zusammen? Welche Herausforderungen begegnen Ihnen dabei im Arbeitsalltag?

Zunächst muss ein funktionierender Prozess für das Material Compliance Management vorhanden sein, andernfalls ist dieser zu entwickeln und zu implementieren. Im Rahmen dieses Prozesses muss zu allen Materialien und Artikeln eine Dokumentation bezüglich der Material Compliance Anforderungen erstellt werden. Da Regulierungen, Standards und Marktanforderungen sich verändern, ist eine regelmäßige Pflege der Daten nötig. Dies erfolgt am besten in Kooperation mit weiteren Abteilungen, wie dem Einkauf, der Produktentwicklung oder dem Material- und Komponentenmanagement. Produkte müssen bezüglich ihrer Materialkonformität bewertet werden, bevor sie auf den Markt kommen. Diese ist von den Zielregionen und -märkten abhängig. Hier ist die Unterstützung von Produktmanagement und dem Vertrieb hilfreich. Als Compliance Managerin begleite ich den ganzen Lebenszyklus des Produktes, von der Entwicklung bis hin zur Wiederverwertung bzw. Entsorgung. Das Material Compliance Management ist nicht bei allen Kolleg:innen ein Fokusthema. Daher zählt es zu meinen Aufgaben auf die Umsetzung des internen Prozesses zu achten und Aufmerksamkeit auf die anfallenden Aufgaben zu lenken. Das kann schon mal mühselig sein und bedarf Ausdauer.

Was begeistert Sie an Ihrer Arbeit und wie gehen Sie sicher, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Compliance-Richtlinien verstehen und umsetzen?

Ich verfolge gerne die Gesetzeslage und die Diskussionen dazu (z.B. über Arbeitskreise im ZVEI e. V. ) und versuche dann die Neuerungen im Unternehmen zu adressieren, zu koordinieren sowie bei der Umsetzung der Material Compliance Anforderungen zu unterstützen. Die Arbeit ist also sehr interdisziplinär, was mir gefällt, da ich Einblick in viele verschiedene Arbeitsbereiche bekomme. Vor allem kann ich mit meiner Arbeit einen Beitrag zu Umwelt- und Gesundheitsschutz leisten und die Entwicklung nachhaltiger Produkte unterstützen. In erster Linie stehe ich als Ansprechpartnerin zur Verfügung. Wenn ich den Eindruck habe, dass es irgendwo Missverständnisse gibt, gehe ich auf die Kolleg:innen zu und spreche das Thema an. Bei Bedarf können z.B. auch Schulungen durchgeführt werden.

Welche Kompetenzen sind in Ihrem Berufsfeld besonders wichtig, und wie lösen Sie schwierige Material Compliance-Situationen?

Gute Organisationsfähigkeiten, dazu gehört für mich komplexe Themen in kleine Aufgabenpakete herunterzubrechen und diese sinnvoll zu priorisieren. Die Kommunikation innerhalb des Unternehmens zur Sensibilisierung bezüglich der verschiedenen Material Compliance Themen ist wichtig. Da die Tätigkeit, wie gesagt, sehr interdisziplinär ist und man mit vielen verschiedenen Kolleg:innen Kontakt hat, ist auch die Art der Kommunikation wichtig. Ich habe angefangen im Bereich Material Compliance Management zu arbeiten als das PFAS-Beschränkungsdossier veröffentlicht wurde. Daraufhin haben wir bei KROHNE unser Produktportfolio auf enthaltene PFASs überprüft und auch einen Beitrag im Rahmen der Konsultation bei der ECHA eingereicht. Auch in den USA gibt es mittlerweile verschiedenste Bestrebungen PFAS zu regulieren (Berichtspflichten, Beschränkungen, Verbote). Das nicht einheitliche Vorgehen lässt die Aufgabe immer komplexer werden. Den Überblick zu behalten und die Aufgaben richtig zu priorisieren ist eine Herausforderung. Noch kann ich nicht sagen, wie gut KROHNE sie meistern wird, da die Regulierungsbestrebungen noch nicht abgeschlossen sind.

Wie hat sich Ihrer Meinung nach das Berufsbild der Material Compliance Beauftragten entwickelt und welche Tipps würden Sie für eine Karriere in diesem Bereich geben? Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung des Bereichs?

Das kann ich (noch) nicht beurteilen, da ich erst seit knapp zwei Jahren als Compliance Manager arbeite. Vorher hatte ich nur wenig Berührungspunkte mit dem Arbeitsbereich. Mein Eindruck ist, dass sich das Berufsbild mehr und mehr etabliert, auch wenn die Berufsbezeichnung sehr variabel ist (Beauftragter, Officer, Manager, Koordinator,…). Man muss Spaß daran haben sich mit Gesetzen und Normen auseinanderzusetzen. Die daraus resultierenden Anforderungen müssen an Kolleg:innen und Management adressiert und auch mit diesen diskutiert werden. Kommunikationsfähigkeiten sind also erforderlich. Es kann passieren, dass man auf Leute trifft, die die Sinnhaftigkeit dieser Regulierungen in Frage stellen. Auch mit solchen Situationen muss man umgehen können. Ein Grundinteresse für die Chemie sowie ein Verständnis der Herstellungsprozesse für Chemikalien und Materialien sind sehr hilfreich. Aus meiner Sicht werden die gesetzlichen Anforderungen nicht weniger werden. Ich hoffe, dass es zukünftig mehr Vereinheitlichung geben wird und am besten eine internationale Abstimmung zu diesen Themen, damit neue lokale Regulierungen nicht deutlich von den bereits vorhandenen Gesetzen abweichen. Das ist allerdings eine sehr große Herausforderung, die wahrscheinlich höchstens in Teilen umgesetzt werden kann. Schon heute ist die Substitution von gesundheits- und umweltschädlichen Stoffen ein Schwerpunktthema, das auch im Hinblick auf die Kreislaufwirtschaft weiter vorangetrieben werden muss.


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